8.) Hamm und die Revolution 1918/19
Mit dem 7. Oktober 1918 beginnt Maria Hamm ein im Passauer Nachlass überliefertes Tagebuch zu führen, das zumindest bis in das Jahr 1929 hinein detailliert die unruhigen Zeiten schildert, die auch und speziell in Deutschland nach über vier Jahren Weltkrieg nun weiterhin folgen sollten. Maria Hamms Einschätzung des politischen Umbruchs im Herbst 1918 und über die Kriegsniederlage des Deutschen Reiches ist nüchtern und ausgewogen; zugleich macht sie aber aus ihrer „Trauer“ über die Lage keinen Hehl:
„[…] einerseits war es ja ein befreiendes Gefühl, daß nach 4 ½ jähriger Feindseligkeiten auf einmal alles schwieg. Aber wir hatten uns das Ende so ganz anders vorgestellt. Daß unser tapferes Heer geschlagen nach Hause kommt, das hätte niemand gedacht. – Trauer nichts wie Trauer ist über unser Land gezogen. Die Feinde stellen kaum anführbare Bedingungen bei dem Waffenstillstand u. was werden dann erst die Bedingungen zum Frieden. Doch wir sind ganz in ihren Händen, wir sind ausgeliefert u. müssen uns alles diktieren lassen, auf ihre Güte hoffen; und das ist umsonst.“
Über die revolutionären Ereignisse in München, in Bayern und im Deutschen Reich resümiert Maria Hamm: „In der Nacht vom [7.] auf den [8.] vollzog sich die Umwälzung, zuerst in Bayern u[nd] dann im ganzen Reich. Die Regierung wurde gestürzt, Bayern als Republik erklärt u[nd] der Schriftsteller Kurt Eisner ernannte sich zum Ministerpräsidenten.
[8]. 11. 18. war die Revolution in München, das Militär hatte alle Waffen in der Hand, mit Autos fuhren sie in schnellstem Tempo, Revolver u. Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett in der Hand, durch die Straßen, die rote Fahne wehte von der Residenz, der König ist mit seiner Familie in der Nacht geflohen, man wußte nicht wohin. Maschinengewehre knatterten bei Tag u. Nacht. An unserem Haus zog eine Bande Soldaten vorbei, blieben vor jedem angemalten König stehen und riefen: ,Hoch lebe die Republik‘. Ich hatte natürlich große Sorge um Edi.“
Formal ist es der Münchner „Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern“, welcher nach Übernahme der Regierungsgewalt ihren ersten Vorsitzenden, den 1867 in Berlin geborenen USPD-Politiker Eisner, zum Bayerischen Ministerpräsidenten bestimmt. Den neuen Namen des Landes, den Eisner wählt, „Freistaat“, werden weitere deutsche Länder nach dem jeweiligen Ende auch der dortigen Monarchien nach bayerischem Vorbild übernehmen, darunter Preußen. Eisner bildet eine Minderheitsregierung von Unabhängiger Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (USPD) und SPD; die USPD hatte sich 1917 von der Mutterpartei abgespalten. Bei der ersten bayerischen Landtagswahl nach Kriegsende am 12. Januar und 2. Februar 1919 erreicht Eisner mit seiner USPD lediglich 2,5 % der Stimmen; die SPD erzielt 33 %, was ein Plus von 13,5 % im Vergleich zur bis dahin letzten Landtagswahl 1912 darstellt. Stärkste Kraft aber wird die konservativ-klerikale Bayerische Volkspartei (BVP) mit 35,0 %, die drittstärkste Fraktion stellt die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) mit einem Ergebnis von 14,0 %.
Auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des neugewählten Landtages wird Kurt Eisner am 21. Februar 1919 in der Münchner Promenadengasse (heute nach Kardinal Faulhaber benannt) auf offener Straße vom jungen Leutnant Anton Graf von Arco auf Valley (1897–1945) erschossen. Graf Arco-Valley, der im ersten Semester Rechts- und Staatswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert, stammt gebürtig aus St. Martin im Innkreis (Oberösterreich) und hat 1916 in Passau, also in der Geburtsstadt Eduard Hamms, am Humanistischen Gymnasium, dem heutigen Gymnasium Leopoldinum, das Notabitur abgelegt. Kurz nach dem Attentat Arco-Valleys dringt ein Mitglied des Revolutionären Arbeiterrates in den Plenarsaal des Landtags ein, schießt auf den amtierenden Staatsminister des Innern, den aus Dommelstadl bei Passau stammenden Landesvorsitzenden der SPD, Erhard Auer (1874–1945), der als Rivale Kurt Eisners gilt, und verletzt diesen schwer. In dem anschließenden Tumult kommen zwei Abgeordnete der Bayerischen Volkspartei zu Tode.
Während der Verfassungskrise, in die der junge Freistaat Bayern nun gerät, kommt es im April und Mai 1919 in der bayerischen Landeshauptstadt zur Machtübernahme des kommunistischen „Zentralrates der bayerischen Republik“, zur so genannten „Münchner Räterepublik“. Die demgegenüber rechtmäßige Staatsregierung, eine nach Kurt Eisners Tod gebildete Minderheitsregierung unter Führung des SPD-Politikers Johannes Hoffmann (1867–1930), verlässt gemeinsam mit dem Parlament die Landeshauptstadt München und findet Zuflucht auf dem Bamberger Domberg, bis dort am 12. August 1919 die neue Verfassung des Freistaates Bayern verabschiedet wird. Die „Bamberger Verfassung“ tritt am 15. September 1919 in Kraft und wird 1933/34 im Zuge der NS-„Gleichschaltung“ de facto außer Kraft gesetzt werden. Zunächst als Legationsrat im Staatsministerium des Äußeren, das vom Ministerpräsidenten geleitet wird, ist Eduard Hamm mit nach Bamberg gekommen und wird ebendort am 31. Mai 1919, also noch im Monat der Niederschlagung der Münchner Räterepublik, zum Bayerischen Staatsminister für Handel, Industrie und Gewerbe in der Regierung Hoffmann II ernannt.