Maria Hamm über die „Umwälzung“ 1918/19 in ihrer „Familienchronik Eduard u. Maria Hamm, Okt. 1918 – Dez. 1929”

Objekt

Objekttyp
Chronik
Objekttitel
Maria Hamm über die „Umwälzung“ 1918/19 in ihrer „Familienchronik Eduard u. Maria Hamm, Okt. 1918 – Dez. 1929”
Originaltitel
Familienchronik Eduard u. Maria Hamm, Okt. 1918 – Dez. 1929, I. Buch
Objektstatus
Original
Interne Signatur
dhup_hamm_lebe_selbstzeugnisse_maria-hamm_familienchronik-1918-1929
Archiv oder Institution des Originals
Stadtarchiv Passau
Digitale Kollektion
EHOA 2024
Verzeichnungsstufe
Ausschnitt aus einem Dokument/einer Enzelressource; 5 Seiten
Datierung oder Erscheinungsjahr
Oktober/November 1918
Maße des Objektes
Höhe: 20,9 cm; Breite: 17,0 cm
Transkription
Transkription Seiten [5] – [7]:

<S. [5]>
[…]
6. 11. 18 Als wir mittags uns zum Essen setzen wollten[,]
kam wieder Fliegeralarm; Edi hatte Vorlesung in
der technischen Hochschule, die brach er ab u. kam
zum Essen herein. Wir kamen von Daklass herauf
u. aßen gemütlich beim offenen Fenster[,] um even-
tuell einen Krach zu hören, aber es blieb abermals
beim Schrecken. In der Nacht vom 6. auf den 7. vollzog
sich die Umwälzung, zuerst in Bayern u. dann
im ganzen Reich. Die Regierung wurde gestürzt,
Bayern als Republik erklärt u. der Schriftsteller
Kurt Eisner ernannte sich zum Ministerpräsidenten.

<S. [6]>
7. 11. 18. war die Revolution in München, das Militär
hatte alle Waffen in der Hand, mit Autos fuhren
sie in schnellstem Tempo, Revolver u. Gewehre
mit aufgepflanztem Bajonett in der Hand, durch
die Straßen, die rote Fahne wehte von der Residenz,
der König ist mit seiner Familie in der Nacht
geflohen, man wußte nicht wohin. Maschinen-
gewehre knatterten bei Tag u. Nacht. An unserem
Haus zog eine Bande Soldaten vorbei, blieben vor
jedem angemalten König stehen und riefen:
„Hoch lebe die Republik“. Ich hatte natürlich große
Sorge um Edi. Fridi[,] der an diesem Tage nicht
in die Kaserne hinaus konnte, stellte die Verbin-
dung zwischen Edi u. mir her.
8. 11. 18 Hieß es nachmittags es kommt eine Gegenre-
volution, u. abermals hörte man Maschinenge-
wehr, aber es kam nicht so. Angst hat man ge-
nug ausgestanden. Gertrud bekam an diesem
Tag einen leichten Anfall von Grippe, der aber in

<S. [7]>
ein paar Tagen ganz gehaben war.
11. 11. 18. hörte morgens um 11 Uhr das Schießen an der
Front auf; einerseits war es ja ein befreiendes
Gefühl, daß nach 4 ½ jähriger Feindseligkeiten
auf einmal alles schwieg. Aber wir hatten uns
das Ende so ganz anders vorgestellt. Daß unser
tapferes Heer geschlagen nach Hause kommt,
das hätte niemand gedacht. – Trauer nichts
wie Trauer ist über unser Land gezogen. Die
Feinde stellen kaum anführbare Bedingungen
bei dem Waffenstillstand u. was werden dann
erst die Bedingungen zum Frieden. Doch wir sind
ganz in ihren Händen, wir sind ausgeliefert
u. müssen uns alles diktieren lassen, auf
ihre Güte hoffen; und das ist umsonst.
Schlagworte
„An unserem Haus zog eine Bande Soldaten vorbei, blieben vor jedem angemalten König stehen und riefen: ,Hoch lebe die Republik‘“: Familie Hamm wohnte seit 1911 in München in der Schellingstraße 83/II, den so genannten „Trump’schen Fürstenhäuser“, die ein Bauunternehmer namens Friedrich Trump hatte bis 1889 errichten und deren Fassaden vom Passauer Historienmaler Ferdinand Wagner, einem engen Freund von Eduard Hamms Onkel Anton Niederleuthner jun., mit monumentalen Wandmalereien hatte ausschmücken lassen. Gegenstand der Wandbemalung zur Schellingstraße hin waren „Apotheosen“ der bis dahin regiert habenden Könige von Bayern und des Prinzregenten Luitpold.
Autor einer Verzeichnung
Markus Gerstmeier, M.A.
Verzeichnungsrichtlinien
RNAB