12.) Hamm in der Zivilgesellschaft der Weimarer Republik und der NS-Zeit

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Reichswirtschaftsministers am 15. Januar 1925 übernimmt Hamm neben seiner neuen großen Aufgabe, also der Funktion als Erstes Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, bis zum Einschnitt des Jahres 1933 und teilweise auch darüber hinaus mehrere weitere Führungspositionen in Verbänden und Organisationen der freien Wirtschaft und Zivilgesellschaft des Deutschen Reiches, teils auch weiterhin in staatlichen Organen.

 

1925–1934 amtiert Hamm als Sachverständiger Beisitzer des Kartellgerichts in Berlin, von Juni 1931 bis April 1934 auch als Beisitzer am Reichswirtschaftsgericht in Berlin. 1926–1932 ist Eduard Hamm Mitglied des Verwaltungsrats der Zweigstellen des Auswärtigen Amtes für Außenhandel und der Reichsnachrichtenstellen. Von März 1928 bis Mai 1933 amtiert er als Vorsitzender des Prüfungsamts für Diplomvolkswirte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bis 1933 fungiert Hamm auch als Präsident des Bundes deutscher Verkehrsverbände und hält eine damit führende Position in der deutschen Tourismusbranche; zugleich wird er von Reichskanzler Heinrich Brüning zum „Beauftragten der Reichsregierung für den Fremdenverkehr“ ernannt. Außerdem hält Hamm Aufsichtsratsmandate bei der Bayerischen Versicherungsbank (bis 1933) und der Deutschen Golddiskontbank (Dego, bis 1934) und ist bis Ende 1933 als Mitglied im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat sowie im Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft, einem Enquete-Ausschuss des Reichstages, vertreten. Im Zuge der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten legt Hamm 1933/34 alle diese Ämter und Funktionen nieder, was seine vollständige Weigerung belegt, seine Tatkraft in den Dienst der neuen Machthaber zu stellen.

 

Vermittels seiner vielfältigen Kontakte in Politik und Wirtschaft wird Eduard Hamm 1930 auch einer der ersten deutschen Rotarier. Der erste Rotary Club in Deutschland ist 1927 von Hamms früherem Regierungskollegen Reichskanzler a. D. Wilhelm Cuno, mit dem er befreundet ist, gegründet worden. 1929 wird von Hamburg aus der erste Berliner Rotary Club Berlin gegründet, dem Hamm bis zum Umzug nach München 1936 angehört.

 

Als führender DIHT-Funktionär zeichnet Hamm auch als Herausgeber der „Deutschen Wirtschaftszeitung“ verantwortlich, für die er auch selbst namhafte Artikel verfasst. Hierin zeigt sich wiederum die intellektuelle Seite des Verbandsfunktionärs, die während der Weimarer Jahre in der Auseinandersetzung Hamms mit Carl Schmitt einen geistesgeschichtlich interessanten Teilaspekt aufweist. Carl Schmitt bekleidet von 1928 bis 1933 eine Professur an der Handelshochschule Berlin, an der Eduard Hamm zur gleichen Zeit einen Lehrauftrag innehat.

 

 

Als besonders bemerkenswert und in gewisser Hinsicht auch „nachhaltig“ ist Hamms Wirken zugunsten der Tourismusbranche hervorzuheben. Hiervon wird nicht nur Reit im Winkl profitieren, wo Hamm 1932 einen Gutshof erwirbt, auf den er sich mit seiner Familie 1936 zurückziehen wird. Eduard Hamm ist zwischen Mai 1931 und Januar 1933 auch maßgeblich daran beteiligt, dass der Zuschlag zur Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 1936 an die bayerischen Marktgemeinden Garmisch und Partenkirchen geht (vgl. Schwarzmüller o. J.). Die Vergabe erfolgt also, wie diejenige für die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, welche dann beide Sportereignisse dazu missbrauchen werden, die internationale Öffentlichkeit über ihr wahres Gesicht zu täuschen.


Bei der Auswahl von Garmisch und Partenkirchen als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1936 ist neben Hamm nicht nur der Gesandte des Freistaats Bayern in Berlin, Franz Sperr (1878–1945), beteiligt, mit dem Eduard Hamm später in den Widerstand gegen das NS-Regime gehen wird, sondern auch der frühe Hitler-Gegner Fritz Schäffer, 1931–1933 als Staatsrat Leiter des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen. Schäffer wird später der erste bayerische Ministerpräsident nach Ende der NS-Diktatur werden, Bundesminister der Finanzen (1949–1957) und der Justiz (1957–1961), 1949–1961 auch als stets direkt gewählter Abgeordneter Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Passau. Die am meisten treibende Kraft bei der Olympia-Bewerbung Garmischs und Partenkirchens aber ist der zwischen Februar 1927 und Frühjahr 1933 amtierende Bezirksamtmann von Garmisch – es handelt sich um Carl von Merz, den Schwager Eduard Hamms.

 

 

Die gute und weitverzweigte Vernetzung Eduard Hamms in Politik, Justiz, Verwaltung, freier Wirtschaft und akademischer Welt der Weimarer Republik wird im Passauer Nachlass Hamms besonders eindrucksvoll dokumentiert durch die jeweils unzähligen Glückwunschschreiben, die Eduard Hamm zu seinem 50. Geburtstag am 16. Oktober 1929 erreichen und die Maria und Eduard Hamm anlässlich ihrer Silberhochzeit am 22. August 1932 erhalten.

 

 

Dass sich Eduard Hamm schon kurz nach Beginn der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten seit Januar 1933 sukzessive von allen seinen Ämtern und Ehrenämtern zurückzieht, bedeutet für den bisher so vielseitig umtriebigen ,homo politicus‘ auch beruflich einen krassen Einschnitt. Für seine Resistenz gegen das Regime nimmt Hamm einen erheblichen Einbruch seiner monatlichen Einnahmen in Kauf. De facto arbeitslos geworden, muss sich der 53-jährige Hamm neu orientieren. Unter vermittelnder Beteiligung seines ehemaligen Mitstipendiaten im Maximilianeum, des amtierenden Reichsjustizministers Franz Gürtner, wird Hamm Ende 1933 in die Berliner Rechtsanwaltskammer aufgenommen – was sicherlich als Notlösung zu deuten ist, nachdem sich Hamm zu Beginn seiner Berufslaufbahn bewusst gegen eine Tätigkeit in der Justiz entschieden hat. Umso bitterer ist es für ihn, dass er bis Ende 1934 lediglich ein einziges Mandat erhält. Der vormalige Reichsminister Hamm, der sich eigens das Maschinenschreiben aneignet (Hardtwig 2018, S. 287), ist nun in der Position eines Bittstellers.

 

Erst mit dem Umzug von Berlin nach München bzw. Reit im Winkl im Oktober 1936 verbessert sich die berufliche Lage Hamms. Inzwischen hat er auch das einzige mehr oder weniger herausgehobene Amt angetreten, das er während der NS-Zeit neu übernehmen wird. Es handelt sich um eine Funktion in der Privatwirtschaft. Mit dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitz der Deutschen Waren-Treuhand (DWTH) AG Hamburg, der Eduard Hamm am 22. Februar 1934 durch interne Wahl übertragen wird, stellt sich Hamm keineswegs in den Dienst des NS-Regimes – im Gegenteil. Denn die DWTH AG hat seit ihrer Gründung 1920 unter der Leitung der Bankiers Max M. Warburg (1867–1946) und Paul von Mendelssohn-Bartholdy (1875–1935) gestanden, die sich wegen ihrer jüdischen Herkunft nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zurückziehen müssen. Mendelssohn-Bartholdy und Hamm sind seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Spitze des DIHT befreundet und es ist Mendelssohn-Bartholdy, der Eduard Hamm 1934 als neuen stv. Aufsichtsratsvorsitzenden der DWTH AG vorschlägt. Neuer Aufsichtsratsvorsitzender wird der Jurist Wilhelm Kiesselbach (1867–1933), der Hamm aus dessen Zeit als Reichswirtschaftsminister bekannt ist. Kiesselbach ist wie Hamm von Beginn an ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, die ihn 1933 von seiner Position als Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts entfernen. Hamm wird bis 1944 mehrfach für den stv. Aufsichtsratsvorsitz der DWTH AG wiedergewählt und fährt in dieser Zeit mindestens 16 Mal von Bayern nach Hamburg, zuletzt zur Aufsichtsratssitzung am 14. Juli 1944. – Eduard Hamms in Politik und Zivilgesellschaft der Weimarer Republik geknüpfte Bekanntschaften und Freundschaften wirken nach 1933 vielfach weiter, bis hin zum gemeinsamen aktiven Widerstand gegen das NS-Regime.