16.) Festnahme durch die Gestapo und Tod in Berlin
Otto Geßler, früherer DDP-Reichswirtschaftsminister, enger Vertrauter Eduard Hamms und mit diesem neben Franz Sperr führender Akteur im „Sperr-Kreis“, wird bereits am zweiten Tag nach dem misslungenen Attentat des Grafen Stauffenberg auf Hitler, also am 22. Juli 1944, in der Nähe seiner Heimatstadt Lindenberg im Allgäu von der Gestapo verhaftet; ebenso der frühere Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft (März – November 1922) Anton Fehr, der wie Geßler aus Lindenberg stammt, sowie der vormalige Reichslandwirtschaftsminister (1919–1921) und -finanzminister (1921–1923) Andreas Hermes (1878–1964, Zentrumspartei, 1945 Gründungsvorsitzender der Ost-CDU) – die Bodenseeregion, die auch Eduard Hamm seit dessen Zeit in Lindau (1908/09) vertraut ist, ist während des Zweiten Weltkriegs ein bedeutender Rückzugsort für resistente Akteure im Umfeld Eduard Hamms (vgl. Limbach 2019, S. 161). Alle drei werden in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli nach Berlin und von dort aus in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt; vor allem Geßler wird bei den nun folgenden Verhören schwer gefoltert (Limbach 2019, S. 466). Während Hermes später zum Tode verurteilt wird und die Vollstreckung ihn nur wegen des Kriegsendes erspart bleiben wird, werden gegen Geßler und Fehr keine Prozesse geführt werden.
Angesichts der Kontakte des süddeutschen „Sperr-Kreises“ zum Netzwerk des 20. Juli und zum Kreisauer Kreis – auf Vermittlung von P. Alfred Delp SJ hatte Franz Sperr Claus Schenk Graf von Stauffenberg noch im Juni 1944 persönlich getroffen – und zumal nach der Verhaftung Geßlers und Fehrs am 22. Juli 1944 schwebte von nun an das Damoklesschwert einer Festnahme auch über Franz Sperr, der sich am 20. Juli beim Vorstandsvorsitzenden der Münchener Rückversicherungsgesellschaft Kurt Schmitt aufhält (vgl. Limbach 2019, S. 469) sowie über Eduard Hamm.
Franz Sperr wird am 28. August verhaftet und erhält im Prozess vom 9.–11. Januar 1945 vor dem Ersten Senat des Volksgerichtshofs in Berlin unter Vorsitz des VGH-Präsidenten Roland Freisler gemeinsam mit dem Jesuitenpater Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke das Todesurteil, das am 23. Januar 1945 vollstreckt wird. Die Mitangeklagten Eugen Gerstenmaier – nach dem Krieg für CDU von 1954 bis 1969 Bundestagspräsident –, Franz Reisert und Josef Ernst Fürst Fugger von Glött erhalten mehrjährige Zuchthaus- bzw. Gefängnisstrafen (vgl. v. Keyserlingk-Rehbein 2019, S. 573).
Eduard Hamm offenbart seiner Familie bereits am Tag des gescheiterten Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 seine Mitwisserschaft an den Anschlags- und Umsturzplänen. Der Name des Attentäters, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, ist ihm bekannt; auch weiß Hamm darum, dass Carl Friedrich Goerdeler „das politische Zentrum“ im Netzwerk der Verschwörer ist (so wörtlich gegenüber seinem Schwiegersohn, zit. nach Hardtwig 2018, S. 430). Goerdeler und Hamm waren einander „spätestens seit den frühen dreißiger Jahren bekannt“ (op. cit., S. 425 und 384); Goerdeler hatte 1932 als Oberbürgermeister der Messestadt Leipzig und Reichspreiskommissar vor dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag referiert. 1943/44 ist es der vormalige nachmalige Münchner Oberbürgermeister (1925–1933 und 1945–1948 Karl Scharnagl (1881–1963, BVP, CSU), der den Kontakt zwischen Goerdeler und der bayerischen Widerstandsgruppe um Sperr, Hamm und Geßler hergestellt hat.
Auch Eduard Hamm muss vom 20. Juli 1944 an jederzeit mit seiner Verhaftung rechnen; er bereitet sich auf eine bevorstehende Haft und Vernehmungen akribisch vor. Es dauert bis zum 2. September, bis die Gestapo in Reit im Winkl auftaucht, Hamm festnimmt und nach Berlin verschleppt. In der Reichshauptstadt wird er im Zellengefängnis Lehrter Straße interniert, wo sich heute ein „Geschichtspark“ befindet – unmittelbar nordöstlich vom neuen Berliner Hauptbahnhof, nur vier Häuserblocks von der damaligen Pépinière entfernt, die seit 1998 das Bundeswirtschaftsministerium beherbergt, dessen Bibliothek 2014 auf Anregung des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Energie und Vizekanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Sigmar Gabriel (SPD), den Namen „Eduard-Hamm-Bibliothek“ trägt.
Eduard Hamms Tod ereignete sich nach Auskunft von Johannes Tuchel (vgl. Hardtwig 2018, S. 431) nicht im heutigen Regierungsviertel des politischen Berlin, sondern in einer Außenstelle des Zellengefängnisses in der Nähe des Kurfürstendamms. Ob Hamm wirklich, wie die Schergen des NS-Regimes behaupteten, Suizid beging, indem er aus dem 3. Stock sprang, ist nie endgültig geklärt worden. Auch ein nach Kriegsende aufgenommenes Ermittlungsverfahren blieb ergebnislos.