1.) Familiäre Herkunft und Prägung
Dass ein sozialer Aufstieg – bei einer entsprechenden Ausgangsposition –, obgleich noch schwieriger als im heutigen Deutschland, auch in der Königs- und Kaiserzeit möglich sein konnte, bewiesen Eduard Hamms unmittelbare Vorfahren. Waren sein Großvater und Urgroßvater väterlicherseits noch als Glasermeister in Neunburg vorm Wald tätig gewesen, konnte sein Vater Johann Baptist Hamm studieren und hat im kgl. bayerischen Justiz- und Verwaltungsdienst zum Zeitpunkt der Geburt seines ersten Sohnes Eduard bereits die Stellung eines Amtsrichters erreicht.
Johann Baptist Hamm untermauert seinen sozialen Aufstieg mit einer ,gute Partie‘. Eduard Hamm stammt mütterlicherseits aus der Passauer Gastronomendynastie Niederleuthner, einer Familie, welcher ihrerseits ebenfalls erst in den Generationen vorher ein nicht weniger beeindruckender Aufstieg gelungen ist als Johann Baptist Hamm. Eduard Hamms Großvater Anton Niederleuthner hat 1844 das Passauer Hotel Wilder Mann erworben, „jenes uralte Haus, das einzige ,Hotel‘ der Altstadt, in welchem auch hohe alte Potentaten seit unvordenklichen Zeiten gewohnt haben“ (Ferdinand Wagner im Passauer Ratsprotokoll vom 20. August 1886, III. Rathskellerskizze 3: 3). Der „Wilde Mann“ ist im Eigentum der Niederleuthners erst recht das erste Haus am Platz, in dem 1862 und ein zweites Mal im Jahr vor der Geburt Eduard Hamms, am 19. Juli 1878, Kaiserin Elisabeth von Österreich zu Gast ist. Für Eduard Hamm wird die aus der Familie seiner Mutter Louise ererbte ökonomische Tatkraft zugleich mit der großbürgerlichen Kultur, der akademischen Bildung und dem politischen Engagement ein vierter wesentlicher Aspekt seines Lebens und Wirkens.
In allen vier Belangen wird aus der Familie Niederleuthner vor allem auch Hamms Onkel Anton Niederleuthner jun. (1845–1907), der selbst zeitlebens Junggeselle und kinderlos bleibt, ein prägendes Vorbild. Studierter Jurist wie Eduards Vater, avanciert er bis zum kgl. Oberamtsrichter in Passau. Insbesondere aber ist Anton Niederleuthner jun. als die wohl einflussreichste Persönlichkeit der zeitgenössischen Passauer Zivilgesellschaft in Erinnerung geblieben. Als Mitbegründer und erster Präsident des Bayerischen Waldvereins und als Initiator der Vorgängereinrichtung des heutigen Oberhausmuseums Passau ist er ein Organisationstalent wie später sein Neffe Eduard und versucht, Passau und Umgebung touristisch zu erschließen. Mit seinem Freund, dem Historienmaler Ferdinand Wagner (1847–1927), gründet er nicht nur 1887 das Ilzer Haferlfest, sondern organisiert und konzipiert gemeinsam mit Wagner die Ausmalung des Passauer Rathauses.
Dort ist die herausragende Stellung der Familie Niederleuthner im damaligen Passau künstlerisch verewigt. Die Figur des „wilden Mannes“ hat Ferdinand Wagner im zentralen Deckengemälde des kleinen Rathaussaals – wie als PR-Maßnahme für das nebenan gelegene Hotel – prominent illustriert. Der „wilde Mann“, den wir auf einem der Wandgemälde des Ratskellers ein zweites Mal wiederfinden, symbolisiert hier den maßgeblichen der drei Passauer Flüsse, also den Inn.
Im Hintergrund hat Ferdinand Wagner die eingangs der Online-Ausstellung angeschnittene Grundproblematik der Geschichte des „ganz anderen“ Passau des „langen 19. Jahrhunderts“ dargestellt: die große, jahrhundertelange Geschichte der Bischofs- und Bürgerstadt, die unter König Maximilian I. Joseph von Bayern faktisch provinzialisiert wird und sich wird neu erfinden müssen – ein Unterfangen, dass Frauen und Männer aus Eduard Hamms unmittelbarem Umfeld, Verwandte und Wahlverwandte, in den Generationen vor, mit und nach ihm, maßgeblich mit ins Werk setzen werden. So, wie Eduard Hamm selbst daran mitwirken wird, nach dem Umbruch von 1918 Bayern und Deutschland neu zu erfinden und sein Vermächtnis der Resistenz, von Einigkeit und Recht und Freiheit, für die wiederum nötige Neuorientierung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Zeit fortwirken wird.