11.) Hamm als Erstes Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (1925–1933)
Gut zwei Wochen nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Reichswirtschaftsministers tritt Eduard Hamm zum 1. Februar 1925 die Stelle als Erstes Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHT) an, die er bis zum 10. Mai 1933 innehaben wird.
Diese Leitungsfunktion in einem der wichtigsten Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft fällt – nach dem Ende der Inflation, dem Dawes-Plan (August 1924) und der Konferenz von Locarno (Oktober 1925) – zunächst in die Zeit der Konsolidierung und des Aufschwungs der Weimarer Republik, von deren Zivilgesellschaft und Produktivität.
Entsprechend der internationalen Öffnung der deutschen Politik und Wirtschaft spielen der Aufbau und die Pflege von Auslandskontakten eine zentrale Rolle in der Tätigkeit Eduard Hamms für den DIHT und die Deutsche Gruppe der Internationalen Handelskammer (Chambre de Commerce Internationale). Gesellschaftlich ist dies nur ein Beispiel dafür, wie aus Unterlagen und Objekten zu seiner Verbandstätigkeit die „Goldenen Zwanziger Jahre“, zumal in der auch im globalen Kontext als Metropole anzusehenden Weltstadt Berlin, aus dem Passauer Nachlass Hamms hervorblitzen. Bei deren Jahrestagung 1931 etwa ist Sir Arthur Balfour zu Gast und hält einen Vortrag – der Empfang zu Ehren des vormaligen britischen Premierministers im noblen Hotel Esplanade in Berlin ist im Passauer Nachlass ebenso dokumentiert wie die Teilnahme Hamms und der Leitungsebene des DIHT am Internationalen Handelskammer-Kongress in Washington, D.C., im Frühjahr 1931. Zu diesem Zeitpunkt ist – von den USA ausgehend – die Ende Oktober 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise in vollem Gange.
Der Bankier Franz von Mendelssohn d. J. (1865–1935), der von 1914 bis 1931 als Präsident der Berliner IHK und von 1921 bis 1931 als Präsident des DIHT sowie seit 1925 zugleich auch der neu gebildeten deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer amtiert, wird 1931 auf der Tagung in Washington, D.C., als erster Deutscher zum Präsidenten der Konferenz der Internationalen Handelskammer gewählt. Franz von Mendelssohn ist ähnlich sozialisiert wie Eduard Hamm; er hat eines der renommiertesten Gymnasien des Landes – das Französische Gymnasium in Berlin – besucht, ist nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in den Justiz- und Verwaltungsdienst eingetreten – denn als Nachfolger im familieneigenen Bankhaus Mendelssohn & Co. war eigentlich nicht er, sondern sein älterer Bruder vorgesehen gewesen. 1918 stellt sich Franz von Mendelssohn entschieden in den Dienst des demokratischen Staates und gegen deren Feinde im rechten wie linken Spektrum, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise erneut, wie zu Beginn der Weimarer Republik, erstarken.
Auch nach seinem Ausscheiden aus Regierung und Parlament betätigt sich Eduard Hamm als DIHT-Spitzenfunktionär weiterhin für Republik und Demokratie; seit 1927/28 auch verstärkt im Sinne einer (Verwaltungs-)Reform des Reiches. Vor dem Hintergrund seiner Sozialisation – etwa seiner prägenden Jahre in Lindau und Memmingen – besonders bemerkenswert ist hierbei Hamms Eintreten für eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Eduard Hamm wird auch Mitglied des 1928 gegründeten „Bundes zur Erneuerung des Reichs“, nach seinem Initiator, dem vormaligen Reichskanzler (Januar 1925 – Mai 1926) Hans Luther (1879–1962) auch „Luther-Bund“ genannt. Der parteilose Hans Luther ist Eduard Hamm gut bekannt – in allen drei Reichsregierungen, in denen Hamm Mitglied gewesen ist, war auch Luther Mitglied, im Kabinett Cuno als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, in den Regierungen Marx I und II als Reichsfinanzminister.
IHK- und DIHT-Funktionäre sind im „Bund zur Erneuerung des Reiches“ stark vertreten: etwa Bernhard Grund (1872–1950), 1920 Präsident der IHK Breslau, 1931–1933 als Nachfolger Franz von Mendelssohns DIHT-Präsident; des Weiteren mehrere alte Weggefährten Eduard Hamms wie Otto Geßler oder Adolf Tortilowicz von Batocki-Friebe, der im Ersten Weltkriegs Hamms Vorgesetzter im Reichsernährungsamt gewesen ist. Drittens sind auch Wissenschaftler und Intellektuelle im „Luther-Bund“ vertreten wie die Historiker Johannes Haller, Fritz Hartung, Friedrich Meinecke und Hans Rothfels, der Soziologie Alfred Weber sowie der Physiker und Bundesbruder Eduard Hamms im Akademischen Gesangverein München, Max Planck.
Während seiner Jahre im DIHT lernt Eduard Hamm auch Akteure kennen, denen er später im Widerstand gegen das NS-Regime wiederbegegnen wird, so z. B. Carl Goerdeler, der als Oberbürgermeister von Leipzig und als Reichspreiskommissar im Januar 1932 vor dem DIHT spricht (Hardtwig 2018, S. 425). Diese Kontakte bleiben unter dem Radar des NS-Regimes bis 1944 bestehen. Wäre der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 gelungen, hätte sich Eduard Hamm, der im Netzwerk des 20. Juli als „Landesverweser“ für Bayern vorgesehen ist, vor allem Personen aus dem Umfeld des DIHT bzw. aus der bayerischen Ministerialmeritokratie als Mitarbeiter geholt.