Eduard Hamm – Quellen der Resistenz

Eine Online-Ausstellung des Lehrstuhls für Computational Humanities der Universität Passau

 

Am 23. September 2024 jährt sich zum 80. Mal der Todestag, am 16. Oktober 2024 zum 145. Mal der Geburtstag des in der heutigen Passauer Bahnhofstraße zur Welt gekommenen Juristen und liberalen Politikers Eduard Hamm, eines der bedeutendsten Söhne der Dreiflüssestadt.
 

Herkunft, Sozialisation und Individuation

Überregionale Bekanntheit und Ansehen genießt Hamm vor allem wegen seiner Resistenz gegen den Nationalsozialismus. Im Netzwerk des gescheiterten Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 war Hamm einer der wenigen vormaligen Spitzenpolitiker und neben Militärs, Konservativen und Sozialdemokraten einer der ganz wenigen Vertreter des im Kaiserreich und in der Weimarer Republik so einflussreich gewesenen Liberalismus. Eduard Hamm amtierte während der Weimarer Republik in schwierigen Zeiten als Bayerischer Staatsminister für Handel, Industrie und Gewerbe (1919–1922). Für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) saß er im Bayerischen Landtag und im Reichstag (1920–1924). In der Regierung Cuno diente er 1922/23 als Staatssekretär in der Reichskanzlei und in den Kabinetten Marx I und II während der Jahre 1923 bis 1925 als Reichswirtschaftsminister. Von 1925 bis 1933 fungierte Hamm als Erstes Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und bekleidete in dieser Zeit zahlreiche weitere Ämter und Funktionen in der freien Wirtschaft und in der Zivilgesellschaft der Weimarer Republik.
 

Resistenz

Der liberale Jurist und Wirtschaftspolitiker war aufrechter Demokrat und Gegner des Nationalsozialismus von Anfang an. Im Frühjahr 1933 legte Hamm fast sämtliche Ämter und Funktionen nieder und zog sich weitestgehend zurück, hielt aber Kontakt zu resistenten Kreisen. Wäre am 20. Juli 1944 der Umsturz gelungen, hätte Eduard Hamm als „Landesverweser“ für Bayern amtieren sollen (von Keyserlingk-Rehbein 2019, S. 537). Die Rache des NS-Regimes am Netzwerk der Verschwörer überlebte auch Hamm nicht. – Am 2. September 1944 von der Gestapo verschleppt, starb er am 23. September 1944 eines unnatürlichen Todes, dessen Umstände von der Justiz nicht aufgeklärt wurden.
 

Eduard Hamms Vermächtnis von Humanität, von Einigkeit und Recht und Freiheit

Zumal in einer Gegenwart, in der totalitäre Regime weltweit zunehmen und antidemokratische Gesellschaftsentwürfe plötzlich auch in Deutschland wieder salonfähig bzw. sogar mehrheitsfähig zu werden drohen, wollen wir Eduard Hamm als ein mustergültiges Beispiel für das „andere Deutschland“ würdigen. Die überregionale und überparteiliche Wertschätzung Eduard Hamms wurde in den vergangenen Jahren durch die Einrichtung mehrerer Gedenkorte und -stätten deutlich.

So ließ der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Bibliothek seines Ministeriums in Berlin 2014 zu Ehren seines Amtsvorgängers in „Eduard-Hamm-Bibliothek“ umbenennen. Im Frühjahr 2024 entschied sich die Präsidentin des Bayerischen Landtages, Ilse Aigner (CSU), im Rahmen des Gedenkprojektes „Die Rückkehr der Namen“ des Bayerischen Rundfunks, mit Eduard Hamms Konterfei in der Hand als dessen „Namenspatin“ der zugehörigen Demonstration durch die Münchner Innenstadt am 12. April 2024 voranzugehen. Ilse Aigner gedachte am 2. September 2024 in Reit im Winkl Eduard Hamms ein weiteres Mal im Rahmen einer öffentlichen Gedenkfeier am 80. Jahrestag von Hamms Verhaftung durch die Gestapo (vgl. Hötzelsberger 2024).

 

Eduard Hamms Enkelin Christine Beßner schenkte dem Passauer Stadtarchiv seit 2017 in mehreren Abgaben einen umfangreichen Nachlass ihres Großvaters, der nicht nur das gut untersuchte Wirken Hamms während Weimarer Republik und NS-Zeit, sondern vor allem auch dessen bislang wenig bekannte Kindheit, Jugend und frühe Erwachsenenjahre dokumentiert.

 

Auch deshalb legt unsere Online-Ausstellung in der Auswahl ihrer Objekte und deren geschichtswissenschaftlicher Kontextualisierung einen gewissen Schwerpunkt auf den Werdegang Eduard Hamms bis zu seinem Umzug nach Berlin im Jahr 1925. Hamms politisches Leben als Bayerischer Staatsminister, als Spitzenpolitiker der Weimarer Republik, seine Zeit als Verbandsfunktionär und seine Widerständigkeit gegen den Nationalsozialismus stehen im Fokus einer biographischen Monographie seines Enkels, des Emeritus der Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Wolfgang Hardtwig, aus dem Jahr 2018 sowie dem Buch von Manuel Limbach über den widerständigen ,,Sperr-Kreis“, dem Eduard Hamm angehörte, von 2019 (zu Hamms Wirken als bayerischer Handelsminister vgl. auch Unger 2009, v. a. S. 249–268). Die von Hamms Enkelin Christine Beßner und deren Gatten Dr. Wolfgang Beßner (Hamburg) 2014–2019 ausgearbeitete fünfbändige Dokumentation zu Leben und Werk Hamms behandelt darüber hinaus die Aufarbeitung von dessen Resistenz und seiner Todesumstände sowie die ihn würdigende Erinnerungskultur.

 

Mit der Akzentuierung von Sozialisation(en) und Individuation Eduard Hamms kann vorliegende Online-Ausstellung einen neuen Beitrag zur Erforschung von Eduard Hamms Biographie und deren Rahmenbedingungen bieten – als Grundlagenforschung für die Jahre seiner Formation, aber auch im Sinne einer neuen Gesamtbewertung seines Lebens und Wirkens. Grundlegende Hypothesen und ,Erzählung‘ der Ausstellung sind, dass die „Quellen der Resistenz“ Eduard Hamms eben auch und gerade in den Jahren seiner Formation liegen, dass seine spätere Gegnerschaft gegen Hitler und den Nationalsozialismus ohne die Einflüsse und Erfahrungen, die Hamm während seiner ersten vier bis viereinhalb Lebensjahrzehnte geprägt haben, jedenfalls nicht denkbar gewesen wären. Darin besteht die neue Perspektive, die der bislang nicht systematisch erschlossene Teilnachlass Eduard Hamms im Passauer Stadtarchiv, als physische „Quellen der Resistenz“, nahelegt. Im Kern geht es auch um die Frage, wieso manche Männer und Frauen sich früher oder später gegen die Diktatur stellten, andere wiederum, obwohl sie vermeintlich ganz ähnliche Lebensläufe haben, nicht resistent wurden, sich mit dem Regime arrangierten oder es sogar unterstützten.

 

Die in unserer Ausstellung gezeigten Dokumente und Objekte aus dem Passauer Nachlass Eduard Hamms werden im Labor für Kulturgutdigitalisierung des Lehrstuhls für Computational Humanities der Universität Passau nach den gängigen Standards digitalisiert und, in drei verschiedenen Erschließungstiefen, mit Meta- und Normdaten erschlossen; ergänzend zeigen wir auch Quellen aus dem Teilnachlass Hamms in der Abteilung V des Bayerischen Hauptstaatsarchives München. Die annähernd 100 Dokumente und Objekte unserer Ausstellung mit den über 400 Digitalisaten sollen eine repräsentative Auswahl aus dem insgesamt viel umfangreicheren Passauer Nachlass Hamms bieten, den in Gänze zu digitalisieren und in möglichst großer Tiefenschärfe zu erschließen unser langfristiges Ziel ist.

 

Wir danken Christine Beßner und Dr. Wolfgang Beßner für die Übergabe des Nachlasses von Eduard Hamm an das Stadtarchiv Passau sowie für den wohlwollenden und instruktiven Austausch; sodann dem Stadtarchiv Passau, vertreten durch dessen Leiter Richard Schaffner und stv. Leiter Benedikt Binder, sowie Dr. Bernhard Forster, Leiter des Kulturamts der Stadt Passau, für die konstruktive Zusammenarbeit und die freundliche Erteilung der Nutzungsrechte; schließlich Peter Geins (Passau), der eigens für die Eduard-Hamm-Online-Ausstellung (EHOA) ergänzende Fotografien des Passauer Rathauses und des Passauer Hotels „Wilder Mann“ angefertigt hat.

 

Eduard Hamm – Quellen der Resistenz.

Eine Online-Ausstellung des Lehrstuhls für Computational Humanities der Universität Passau, herausgegeben von Markus Gerstmeier und Malte Rehbein

Das Ausstellungsteam: 

Markus Gerstmeier, M.A.: Konzept; Kuratierung; Ausstellungstexte; Auswahl, Erschließung und Verdatung der Objekte

Tobias Perschl, B.A.: computationelle Umsetzung, Objektdigitalisierung

Pauline Schmidt, B.A.: Mitarbeit an Organisation und Korrekturlesen

Heidi Riederer: Mitarbeit an der Organisation, v. a. auch der Vernissage am 16.10.2024

Sebastian Gassner, M.Sc.: Mitarbeit an der computationellen Umsetzung

Felix Graf Lambsdorff, B.A.; Hristo Kapitanov: Mitwirkung bei Verdatung von Objekten als Studienleistungen im Rahmen praxisorientierter Wissenschaftlicher Übungen u.d.L. von Markus Gerstmeier bzw. Pauline Schmidt im Sommersemester 2024 

Passau, im Oktober 2024